GESCHICHTEN 8 | 6:30 Min
Vier Oktobertage des Jahres 1813 hielten als Völkerschlacht bei Leipzig Einzug in die Geschichtsbücher. Die Ereignisse und das Gedenken an sie sorgten reichlich für Brüche und Verwerfungen. Kontroversen zur Deutungshoheit über das Denkmal dauern bis heute unvermindert an.
Das Völkerschlachtdenkmal, nach langem Hin und Her einhundert Jahre nach den blutigen Ereignissen des Oktobers 1813 eingeweiht, zog bereits vor Baubeginn reichlich Kontroversen und Brüche auf sich. Heute gilt gegenüber dem Denkmalsbau eine a priori ablehnende Grundhaltung als politisch korrektes Muss. Die mediale Empörungswalze hält Etiketten wie Steinhaufen , abstoßender Belastungskörper oder faschistoider Granitberg zum Flach- wie Blattschuss parat. Hintergründe und Zusammenhänge sind den woken Empörer:Ininnen freilich unbekannt, bestenfalls unter fake news zu verbuchen und für doktrinäre Linke ohnehin nur rechts.
Stark aufgeladen, schwer zu fassen
Die Ereignisse der vier Kampftage und ihre Folgen setzen alle damals bekannten Katastrophen in den Schatten. Armeen aus Zinnsoldaten und eine internationale Reeinactment-Szene haben entgegen ihren Intentionen zur massiven Vernebelung der Geschehnisse beigetragen. Die kaum fassbare Zahl der Todesopfer würde sich, auf die heutige Einwohnerzahl bezogen, auf mehr als drei Millionen belaufen. Den Kämpfen gingen acht Jahre einer wirtschaftlich schwierigen Besatzung mit Sonderzöllen, Spitzelei und behördlicher Willkür voraus. Nach den Ereignissen folgten grassierende Seuchen, Sterben und Elend. Die Beschlüsse des Wiener Kongresses stellten eine rückwärtsgewandte instabile Nachkriegsordnung her. Die vier Oktobertage des Jahres 1813 finden sich inmitten eines Gewirrs potentieller und realer Konflikte. Dabei waren die verheerenden Kämpfe eher von symbolischer als militärischer Bedeutung. Als der preußische Stabsoffizier Müffling einen Tag nach den Ereignissen von der Völkerschlacht bei Leipzig schreibt, wird er die spätere Bedeutung dieses Begriffs kaum erahnt haben.
Eine Reihe kleinerer Denkmale folgte den Ereignissen. Man gedachte des polnischen Feldmarschalls Poniatowski, der in napoleonischen Diensten beim Rückzug in der Elster etrank, fünf österreichische Doppeladler fanden Aufstellung im Stadtgebiet, die zahlreichen Apelsteine erinnerten an Truppenstandorte und Schlachtereignisse. Das ganz große Denkmal, jener Koloss, wie ihn der Schriftsteller Ernst Moritz Arndt bereits 1814 pathetisch forderte, sollte noch lange auf sich warten lassen.
Die Grundsteinlegung – für ein Germania-Denkmal – erfolgte zu den Feierlichkeiten des 50. Jubiläums der Völkerschlacht in der Nähe des heutigen Denkmals. Weitere Aktivitäten blieben auch danach aus, alle Ambitionen stießen auf unüberwindbare Schwierigkeiten. Für Sachsen, das damals auf der falschen Seite stand und im Nachgang die Hälfte seines Territoriums einbüßte, scheint der Fall klar. Doch auch die Nachfolger der beteiligten Sieger fühlten sich für ein solches Denkmal nicht zuständig, die Akzentsetzung auf Volk, Völker und Nation war suspekt. Und in einer Zeit, die ohnehin durch Kriege und Konflikte geprägt war, fallen Einordnung und Deutung vergangener Kriegsereignisse schwer.
Es scheitert beinahe am Geld
Am Ende ist es die Finanzierbarkeit eines Denkmals, in die alle kleinen und großen Schwierigkeiten münden. Das Vorhaben steht zudem – und das ist das Schlimmste – unter bürgerlichen Vorzeichen. Raum für Herrscher, Kronen oder Gründerväter ist in den Entwürfen nicht vorgesehen. So etwas wird freilich nicht gefördert. Dennoch gehen die Planungen für ein Denkmal voran. In den 1890er Jahren wird das Vorhaben des in Leipzig ansässigen Patrioten-Bundes konkret. Heute würde man von crowdfunding sprechen, denn mehr als 6.000 Vereine sammeln landesweit für den Bau eines Denkmals eifrig Spenden. In Sachsen sorgen zudem 26 Lotterien dafür, dass die immensen Baukosten in Höhe von 6 Millionen Goldmark schließlich gestemmt werden können. Koordiniert werden die Aktivitäten durch den Deutschen Patrioten-Bund, einem ortsansässigen Verein mit Wurzeln in der Freimauerer-Bewegung, der mit einem Denkmalsbau auf öffentliches Interesse stößt. Der führende Kopf dahinter ist Clemens Thieme, aus kleinen Verhältnissen stammender Leipziger Architekt, der sich das Monument zur Lebensaufgabe erkoren hat.
Dem Architekt wird die Hand geführt
Die geforderte Monumentalität und die hohen Ansprüche an die Formensprache sorgen bereits für Schwierigkeiten bei den Ausschreibungen der Denkmalsentwürfe. Nach zwei Wettbewerben droht um die abgelehnten Siegerentwürfe ein Wirrwarr zu entstehen. Beim Patriotenbund ergreift man die Flucht nach vorn und macht 1897 den viertplatzierten Bruno Schmitz zum Architekten. Er gilt als bester Mann für monumentale Denkmale im Kaiserreich, hat das Deutsche Eck, das Kaiserdenkmal an der Porta Westfalica und das Barbarossa-Denkmal auf dem Kyffhäuser entworfen. Folgerichtig wird auf der Großen Berliner Kunstausstellung sein überarbeiteter Entwurf des Leipziger Völkerschlachtdenkmals vom Kaiser mit einer Goldmedaille bedacht. Clemens Thieme ist der Mann im Hintergrund. Schmitz musste sich meinem künstlerischen Gestaltungswillen unterordnen, so dass er schließlich zugab, nur noch Zeichner zu sein.
Die Aussage ist nicht uneitel, aber glaubwürdig.
Auch bei der Bauausführung werden die Schwierigkeiten nicht geringer. Den weitläufigen Baugrund stellte die Stadt Leipzig kostenfrei zur Verfügung. Der Ort war authentisch, doch das Ausheben der inzwischen verfüllten Sandgrube nahm allein zwei Jahre Bauzeit in Anspruch. Für die Fundamentsgründung musste man sich mehr als vier Meter unter das Straßenniveau graben. Der entfernte Aushub wird später Spötter zu der Bemerkung verleiten, das Monument sei auf einem Müllhaufen entstanden.
Doch der Bau geht voran. Bauleiter Otto Rudolph erweist sich als pragmatisches Organisationstalent. Thieme hat ein wachsames Auge auf das gesamte Geschehen und greift immer wieder in die Entwürfe ein. So wird die Kuppel geändert, das Untergeschoss als Krypta ausgeführt. An den formalen Ansprüchen will man im Großen wie im Kleinen keine Abstriche machen. So entsteht auch die aufwändige Treppenführung durch die Wächterfiguren anstelle eiserner Leitern.
Gratwanderung am Zeitgeschmack
Die Formensprache steht im Mittelpunkt. Etwas Neues soll entstehen, ohne Anlehnungen an die Stilepochen der europäischen Architektur. Rückgriffe erfolgen schließlich auf Bauten des alten Ägyptens und der Goten. Zitiert werden Pyramidenarchitektur, die Memnonsäulen in Theben oder das Mausoleum des Theoderich in Ravenna. Ganz aus allem Kontext lösen kann man sich freilich nicht. Ägypten ist ein Modethema der Zeit, seinen Ursprung hat es pikanterweise in den Feldzügen Napoleons. Auch mit der Kaisergruft im Pariser Invalidendom und der französischen Revolutionsarchitektur teilt man stille Gemeinsamkeiten. Dennoch lösen sich die Erbauer des Denkmals mit der Betonung der Architektur gegenüber einer Bildsymbolik vom tagesaktuellen Zeitgeschmack im Kaiserreich.
Etwas einzigartiges des Baues bleibt im Verborgenen. Der glockenförmige Baukörper, der auf dem Grund einer Stufenpyramide entsteht, ist in moderner Stampfbeton-Technologie ausgeführt. So genügen vierzig Arbeitskräfte und elektrische Arbeitsmittel, um das Denkmal in zehn Jahren Meter um Meter wachsen zu lassen. Das Bauen mit Beton und Stahl ist damals noch die Ausnahme, wird sich aber bald durchsetzen. Der wuchtige Beuchaer Granit sorgt dafür, dass bis heute die Verblendung für das Baumaterial selbst gehalten wird.
Auch die Einweihung des Denkmals ist von Brüchen begleitet, die die Vorboten aufziehender Katastrophen sind. Eingeladen sind die einstigen Verbündeten. Die Russen, die das mit Abstand größte Kontingent der Truppen aufboten, errichteten mit der St. Alexej-Gedächtniskirche ganz in der Nähe ein eigenes Denkmal für ihre Gefallenen. Nach nur zehn Monaten Bauzeit erfolgt ihre Weihe einen Tag vor der des Völkerschlachtdenkmals. Dennoch herrscht in Leipzig feierlicher Ausnahmezustand, als das Monument mit Pomp, Kaiser und König eingeweiht wird. Doch die Gegensätze im Hintergrund des Volksfestes vermag keine Festlichkeit zu glätten. Der Kaiser findet in Thiemes Rede nicht die erwartete Würdigung, ihm und Oberbürgermeister Dittrich wird dem Protokoll entsprechend der kleinstmögliche Orden angehangen, es bleibt beim Kurzbesuch.
Denkmäler an die Völkerschlacht gab es bereits länger. Der Leipziger Jurist und Schriftsteller Theodor Apel ließ Anfang der 1860er Jahre im Stadtgebiet 44 Gedenksteine aufstellen, die an authentischen Orten an Kämpfe und Truppenaufstellungen erinnern. In ihnen steckt der Grundgedanke heutiger Erinnerungslandschaften. Aufgrund fehlender symbolischer Aufladung überstanden sie die Zeitläufe unbeschadet. Mehr als Fußnoten zur Geschichte bieten sie aber nicht, die große Erzählung der Ereignisse wird anderen überlassen. Wer sich des Themas Völkerschlacht annimmt, ist im Zwielicht mit einer Kette von Ereignissen und Hintergründen konfrontiert, die sich nur schwer auf vermeintliche Fakten reduzieren lassen. Die Erbauer des Völkerschlachtdenkmals haben sich in diesem Kontext mit glaubwürdigem Ergebnis an einer großen Erzählung versucht. Mehr ist ihnen nicht vorzuwerfen.