WEGE & PFADE 19 | 4:25 Min
Mittlerweile ist die Strecke seit fast drei Jahrzehnten Geschichte. Spektakuläres hatte sie nicht zu bieten. Was übrigblieb, ist mittlerweile im Vorgartenidyll verschiedener Anrainer verschwunden. Und doch ist sie Zeuge für die wirtschaftlichen Entwicklungen der Region.
Die Fakten sind schnell erzählt: 23,6 Kilometer Länge, zuletzt fünf Bahnhöfe und sechs Haltepunkte, 6,80 Höhenunterschied. Am Endpunkt Pörsten mündete sie in die Bahnlinie Großkorbetha - Deuben, die nahezu zeitgleich 1898 eröffnet wurde. Sie erschloss zwar nur das Hinterland, doch brachte sie nichts geringeres als ein neues Zeitalter. Die Eisenbahn ließ den Raum zusammenrücken wie noch nie zuvor. Städte lösten sich aus ihren Landkreisen, Industrien wuchsen aus dem scheinbaren Nichts, Landkarten mussten neu geordnet werden.
Zwischen Braunkohle und Naherholung
Kennzeichen der Region war ihr fruchtbarer Boden, aber auch die Bodenschätze darunter prägten die Landschaft. Die enge Verbindung von Kulkwitz und der Braunkohle liegt in der Gründung der Tiefbaugesellschaft Grube Mansfeld bei Albersdorf, 1864 erster Großbetrieb seiner Art in der Region. Die später vor Ort gegründeten Landkraftwerke erwiesen sich als erfolgreiches Geschäftsmodell, was Mitte der 1930er Jahre in den Neubau eines Braunkohlenwerks und in den Aufschluss des Tagebaus Kulkwitz mündete. Förderbeginn war 1937, der Abbau endete als Tagebau Miltitz durch Auskohlung im Jahr 1963. Die Brikettfabrik schloss 1967, das Kraftwerk lief ab 1972 als Heizkraftwerk für die Neubausiedlung Grünau. Das endgültige Aus kam schließlich zur Jahrtausendwende. Übrig blieb der Kulkwitzer See im gefluteten Restloch. Er ist bereits seit Mai 1973 beliebtes Naherholungsgebiet.
Der Kraftwerksanschluss Kulkwitz war wichtigster Güterkunde der Strecke. Nach der Auskohlung des Tagebaues hielten Kohlelieferungen aus Profen den Betrieb am Laufen. Entsprechend war der Streckenabschnitt, der an der Südseite des Tagebaues neu trassiert wurde, für hohe Achslasten ausgebaut. Der Ort Kulkwitz liegt knapp zwei Kilometer entfernt. Als Firmensitz war er Namenspate des Tagebaues und heutigen Sees. Ähnliche Unstimmigkeiten bezüglich der Ortsnamen bestehen auch an beiden Endpunkten der Strecke: Rippach-Poserna aka Pörsten oder Leipzig-Plagwitz auf Flurstücken in Neulindenau und Kleinzschocher. Das sollte nicht weiter irritieren.
Zur Grube Glück Auf! in Grubnitz gehörte auch die Verladeanlage am einstigen Bahnhof in Röcken. Früheste Zeugnisse der Kohleförderung in der Region gehen bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück. Der Abbau erfolgte zuerst oberflächennah in Bauerngärten. Wenig später etablierte sich Kohle als Brennstoff für Salinen oder bei der Zuckerherstellung. Die Grube wurde 1920 als Tagebau aufgefahren, den man wegen Wasserproblemen aber bereits 1929 auflassen musste. Wahrscheinlich hat man in Röcken mehr Sande und Kiese aus dem abgebauten Deckgebirge verladen als geförderte Kohle.
Ingenieurskunst kurz vor Streckenende
Die 600-Seelen-Gemeinde Rippach steht mit dem Gasthof Zum Weißen Schwan in Goethes Faust und beherbergte auch schon Napoleon. Den Gasthof gibt es längst nicht mehr (er hat aber nur zu), ein kleiner Lebensmittelladen nebenan gehört zu den letzten öffentlichen Räumen des Ortes. Sehenswert ist heute noch das Rippachtalviadukt, das auf 150 Metern Länge kurz vor dem Zielbahnhof Tallage und Flusslauf überwindet. Es bleibt auch ohne Funktion als wichtiger Zeitzeuge. Das Alleinstellungsmerkmal des Viadukts währte nicht lang. Bereits im Jahr 1935 bekam das markante Bauwerk ein Gegenstück: Die neue Reichsautobahn 9 überspannt seither das Tal der Rippach auf einem etwas längeren Viadukt.
Umnutzung als Radweg hieß die Phrase im Raum, Rad-Acht oder Elster-Saale-Radweg nannte man die Schlagwörter, die die Fördermittel-Lyrik bedienten. Herausgekommen ist das übliche Stückwerk, wovon die meisten Teilnehmer am Sonntagsverkehr nichts merken werden. Seit 2010 kann man über 13 Kilometer auf der ehemaligen Bahntrasse zwischen Göhrenz und Lützen radeln, wer weiter will, braucht Kondition und Orientierung. Nach jahrelangem Widerwillen hat die Stadt Leipzig die Leipziger Flächen der Trasse 2019 erworben. Im Jahre 2021 deklarierte man sie zum Umsiedlungsziel für Zauneidechsen vom Sellerhäuser Viadukt. Zwar schafft die grüne Schildbürgerei damit keine durchgehende Radverbindung, aber wenigstens einen Bahnbezug.