ORTE & PLÄTZE

Landschaft als Lost Place

Tagebaue nach der Braunkohle

Kohlegewinnung in den Mitteldeutschen Revieren begann in den 1920er Jahren im großen Stil. Doch nicht allein weggebaggerte Orte und Landschaften brachten Verwerfungen. Auch nach dem Ende der Tagebaue bleiben noch für Jahrzehnte gravierende Probleme zurück.

Tagebau mit Bagger
Die Gewinnung von Energie zerstört großflächig Landschaft – besonders spürbar vor der eigenen Haustür

In den mitteldeutschen Braunkohlerevieren waren es 126 Siedlungen, die den Baggern weichen mussten, gut 51.000 Einwohner wurden umgesiedelt. Hinzu kamen großflächige Grundwasserabsenkungen und Eingriffe in die Infrastruktur. Kaum ein Rohstoff hat die Landschaft in Deutschland derart verändert wie die Braunkohle. Der erste Großtagebau entstand bei Böhlen, etwa 15 Kilometer südlich von Leipzig. Doch der 1921 aufgeschlossene Tagebau wanderte über die Zeit kontinuierlich weiter. Zuerst nach Norden, dann westwärts, jeweils einige hundert Meter im Jahr. Mit dieser schrittweisen Verlegung wurde er ab 1969 schließlich als Tagebau Zwenkau weitergeführt.

Restloch vor Kraftwerk
Das Ende des Kohleabbaus sollte nicht suggerieren, dass erneuerbare Energie kostenfrei wäre

Die heutige 9.000-Einwohner-Stadt Zwenkau umspannte er dabei fast in einem Dreiviertelkreis. Am 30. September 1999 erfolgte schließlich die Stilllegung des Tagebaues. Über einen Zeitraum von 35 Jahren förderten die Bergleute aus ihm 586 Millionen Tonnen Rohbraunkohle. Während der Zeit seines Bestehens grub der Tagebau eine Fläche von 2.860 Hektar um – das ist mehr als 55 mal die Fläche der historischen Innenstadt Leipzigs. Von diesen gigantischen Dimensionen zeugt heute der entstandene Zwenkauer See. Mit seiner Wasserfläche von 970 Hektar ist er nach dem Geiseltalsee und der Bitterfelder Goitzsche der drittgrößte künstliche See in Mitteldeutschland.

Nahaufnahme Kohlebagger
Erst aus unmittelbarer Nähe zeigen sich die beeindruckenden Dimensionen der eingesetzten Großgeräte
Rostiges Wasserrohr
Der Aufwand zur Senkung des Grundwassers in den bis zu 90 Meter tiefen Tagebauen war enorm

Dimensionen der Superlative

Die Sanierungsgebiete aus ehemaligen Tagebauen in Mitteldeutschland nahmen eine größere Fläche ein als die der Insel Rügen, das entstehende Neuseenland im Süden Leipzigs wird damit zu den weltweit größten Landschaftsaustellen gerechnet. Bis zum Jahr 2020 sollen insgesamt 18 Seen mit einer Gesamtfläche von etwa 70 Quadratkilometern entstanden sein. Gern wird dabei suggeriert, Ferienresorts, Marinas und Badestrände seien die nun heile neue Welt. Natürlich, nachhaltig und energiesparend.

Sanddornstrauch in Restloch
Die Dimensionen der Landschafts-Großbaustelle sind beeindruckend wie erschreckend

Neue Landschaft entsteht

Der Zwenkauer See umfasst knapp ein Viertel der ursprünglichen Tagebaufläche, weite ausgekohlte Bereiche wurden seit Jahrzehnten kontinuierlich verfüllt. So befindet sich das Areal um den Freizeitpark Belantis oder um die künftigen Waldflächen der Neuen Harth auf Kippengelände. Dennoch sind die Dimensionen des Zwenkauer Sees immens, mit einer Fläche von 970 Hektar und einem Inhalt von 170 Millionen Kubikmetern Wasser wird er zu den 50 größten deutschen Seen gehören. Die Entscheidung, aus den verbliebenen Restlöchern der Tagebaue Seen entstehen zu lassen, war durch das große Massendefizit nach der Auskohlung praktisch vorgegeben. Beim Aufschluss der ersten Tagebaue in Böhlen und Espenhain musste das abgetragene Deckgebirge andernorts noch extra aufgeschichtet werden. Heute ist dieser erste Lagerort als Hochhalde Trages bekannt, ein beliebter Aussichtspunkt.

Grube im Grundwasser
In den aufgelassenen Mondlandschaften entstanden zeitweise Idyllen von trügerischer Schönheit
Tagebau-Brache
Noch Jahre nach dem Ende der aktiven Tagebaue verblieben Technikreste und Brachland vor Ort
Rinnsal in Halde
Jahrmillionen alte Erdgeschichte lag im Tagebau offen und brachte bei der Sanierung Probleme mit sich
Blick über Kippe
In zehn Jahren werden Tourismus-Manager die geflutete Kippe als Zwenkauer See touristisch vermarkten

Die Natur braucht Zeit

Derart großflächige Eingriffe in die Landschaft benötigen auch entsprechende Zeiträume, in denen sich die Natur in den vegetationslosen Kraterlandschaften wieder ausbreiten kann. Mit den nach Jahrmillionen großflächig bewegten Erdmassen ist zudem das gewachsene Gefüge des Bodens massiv verändert worden. Die Auswirkungen auf das Grundwasser sind immens. In den entstehenden Seen sorgt der Kippenboden für eine massive Versauerung des Wassers, die umfangreiche Kalkbeigaben und weiteren Maßnahmen erfordert. Bei den Rekultivierungsarbeiten werden in großem Stil Kulturlandschaften neu entwickelt. Dieser Prozess wird noch mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Verbotsschild am Tagebau-Restloch
Die aufgelassenen Gruben bleiben über Jahrzehnte Sanierungsfälle, nichts läuft im Selbstlauf
Grube im Grundwasser
Glasklare Gewässer täuschen darüber hinweg, dass ihr saures Wasser dem von Vulkanseen ähnelt
Schilf im Tagebau
Pionierpflanzen erobern schnell die ausgekohlten Gruben, doch Grün heißt längst nicht intakte Natur
Stein an Abbaukante
Blick in die Vergangenheit: Hektarweise umgegrabene Landschaften brachten Verwerfungen und Probleme
Steinberg am Badesee
Blick in die Gegenwart: Badesee und Tagebau-Technik im Museum sind noch keine Patentlösungen
Kühltürme Kraftwerk
Aus gut 160 Metern Höhe bietet sich ein Überblick über Vergangenheit und Gegenwart einer Region

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