INDUSTRIE

Kunst, Verfall und Krempel

Kraftwerksruine als Lost-Place-Galerie

Als eines der letzten großen aus der Zeit gefallenen Objekte präsentiert sich das Kesselhaus vom Industriekraftwerk der einstigen Textilfabrik Stöhr & Co. in Leipzig Plagwitz. Das Haus steht seit Jahren verlassen in der Umgebung von Brachen und Neubauprojekten.

Kunst und Verfall im Kesselhaus
Das alte Kraftwerk beeindruckt mit einer unverwechselbaren Mischung aus Technik, Kunstobjekt und Verfall

In der Umgebung innerhalb des Straßenkarrees und unmittelbar gegenüber haben sich bereits seit längerer Zeit dauerhaft neue Nutzer etabliert. In leerstehende Altgebäude zogen Handwerksbetriebe und Dienstleister ein, Supermarktketten errichteten Neubauten, auf dem alte Brauereigelände nebenan entstand ein Wohnpark.

Beginn im modernen Industrierevier

Das Kraftwerk gehörte lange Jahre zur 1880 gegründeten Kammgarnspinnerei Stöhr & Co. Deren Produktion am modernen Industriestandort Plagwitz nahm rasch Fahrt auf, bald exportierte man von dort bis in die USA. In den 1920er Jahren war die Belegschaft auf mehr als 3.500 Personen angewachsen, die Firma zum größten Leipziger Industriebetrieb geworden.

Gut am Netz angeschlossen
Zu der Anlage führte ein eigener Anschluss aus dem Labyrinth der Plagwitzer Industriegleise

Das Industriekraftwerk selbst erbaute man 1927, der damals moderne Bau löste die kleinen Heizhäuser ab, die vorher zu den einzelnen Fabrikhallen gehörten. Die Lage direkt am Plagwitzer Industriegleis XIV sorgte für den reibungslosen An- und Abtransport von Kohle und Asche.

Der Zweite Weltkrieg ließ vom Stammbetrieb der Kammgarnspinnerei nicht viel übrig. Stöhr & Co. begann bereits 1848 am neuen Standort bei Mönchengladbach die Produktion, der enteignete Leipziger Betrieb wurde etappenweise wieder ans Laufen gebracht. Der Nachfolgebetrieb firmierte als VEB Mitteldeutsche Kammgarnspinnerei und wurde 1969 mit der Leipziger Wollgarnfabrik, vormals Tittel und Krüger, zum Großbetrieb Leipziger Buntgarnwerke zusammengeschlossen. Die Produktion verlegte man Ende der 1960er Jahre schrittweise aus dem alten Standort. Der VEB Leipziger Bekleidungswerke Vestis wiederum nutzte Räume der Kammgarnspinnerei für seine Produktion.

Hallenreste am Kraftwerk
Von den zahlreichen Fabrikhallen auf dem Gelände haben nur wenige Gebäude die Zeiten überdauert

Wechsel und Stillstand

Mit den andauernden Improvisationen fanden sich für das vergleichsweise moderne Kraftwerk neue Besitzer und unveränderte Aufgaben. Nachdem bereits das Gelände der Kämmerei 1971 verkauft wurde, kam 1980 auch das Kraftwerk in die Verwaltung des Blechverformungswerkes. Die Veränderungen fanden vor allem auf dem Papier statt, in der Praxis belieferte das Kraftwerk nach wie vor seine Abnehmer.

Vandalismus und Verfall
Die Halle des Heizhauses hat unter Jahrzehnten des Vandalismus und baulichen Verfalls gelitten

Die wirtschaftlichen Umbrüche mit der Wende brachten den bestehenden Betrieben das unmittelbare Aus, wenngleich Teile des Standortes von einem Textilunternehmen noch gut zehn Jahre über die Wende hinaus genutzt wurden. Die Stilllegung des Kraftwerks erfolgte im Jahr 1992. Bereits damals war die Immobilie in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, die konkrete Bebauung des Areals ließ jedoch auf sich warten.

Beeindruckendes Treppenlabyrinth
In der hohen Halle beeindruckt ein unübersichtliches Gewirr aus Treppen, Laufstegen und Leitungen

Beeindruckende Dimensionen

Fabrikanlagen und Wohnhäuser in unmittelbarer Nachbarschaft waren typisch für das Plagwitzer Industrierevier, bei dessen Entstehung noch kein öffentlicher Massentransport im heutigen Sinne verfügbar war. Diese enge Verflechtung lebte bis zum Ende der DDR, was Plagwitz zu einem der schmutzigsten und unattraktivsten Leipziger Stadtteile werden ließ. Heute gilt der seither vollzogene Stadtumbau als mustergültig. Bleibt zu hoffen, dass dabei die Reste des Kraftwerkes ein wenig mehr als nur Hülle und Staffage abgeben werden.

Müll im Aschesumpf
Für die flächendeckende Ablagerung von Sperrmüll und Unrat scheint kein Zugang zu eng und verwinkelt zu sein
Steiler Treppenabgang
Über die stählernen Lauftreppen und Handläufe hat sich still eine Patina aus Staub und Rost gelegt
Spezielle Besucher als Graffiti
Selbst an verborgenen und schlecht zugänglichen Stellen gedeiht auf alten Anlagen Besucher-Andrang
Begegnung mit Schüsselkopfmännchen
Auch ein für Leipzig typisches Schüsselkopfmännchen fühlt sich im alten Heizhaus heimisch
Aussicht aus dem Kesselhaus
Ob das unter Denkmalschutz stehende Gebäude mehr als nur die Hülle in ein neues Bebauungskonzept einbringt, erscheint fraglich

     INDUSTRIE auf ZeitBrüche


Verwandte Themen:

Graffiti-Männchen

Graffitis als Begleiter im urbanen Umfeld