Macht hoch die Tür ...


Kirchen zwischen Leerstand und Lost Place

  ORTE & PLÄTZE   21 | 3:45 Min

Alljährlich zur Adventszeit rücken Kirchen mit vorweihnachtlichen Musikaufführungen, eingerahmt von Kerzenschein und erwartungsvoller Stille, in den Fokus der Aufmerksamkeit. Der Rest das Jahres ist dann wieder von Leerstand, Aktionismus und Krisenmeldungen geprägt.

Friedhof Petersberg
Ruinen und leerstehende Kirchenbauten sind keine Erfindung der Neuzeit

Schwund, Zusammenlegung, Leerstand

Seit Jahrzehnten sinken die Zahlen der Kirchenmitglieder. Der Anteil der Kirchenmitglieder beider großer Volkskirchen betrug 1990 noch 73 Prozent der Gesamtbevölkerung. Bis zum Jahr 2019 sank dieser Anteil auf 52 Prozent. Diese Entwicklung schlägt sich auch im Leerstand von Kirchen nieder. Dabei gibt es aber keine simple Kausalität, auch manche Zahlenjongliererei – wir befinden und schließlich am Immobilienmarkt – wirkt alles andere als erhellend. Fakt aber ist: Rund 500 katholische und 400 evangelische Kirchen sind seit dem Jahr 2000 verkauft, umgenutzt oder abgerissen worden. Die beiden Volkskirchen besitzen in Deutschland gut 40.000 sakrale Gebäude.

Ruine Alte Kapelle
Die Ruinen vom Petersberg finden sich schon in Goethes Zeichenskizzen
Ruine Kirchturm
Kirchruine hinter Industriebrache als Symbolbild für ganze Landstriche
Kirche im Wildwuchs
In der Vegetation ist der Bau auch direkt an einer Bundesstraße unsichtbar
Kirchenfenster
Bereits seit den frühen 1980er Jahren steht die neogotische Kirche leer
Chor der Nikolaikirche
Probleme mit dem Untergrund in einer Flussaue waren Ursache der Schließung
Eingestürztes Gewölbe
Ein Blitzeinschlag führte 1998 zu einem Dachbrand mit Einsturz vom Gewölbe

Abriss als ultima ratio

Kirchen sind vielerorts die ältesten Bauwerke, die nicht selten den Ortskern prägen. Doch die Mittelpunkte des täglichen Lebens liegen heute nur noch selten in den angestammten Zentren der Städte. Viele Kirchenbauten gerieten – auch durch den Mitgliederschwund – vom Zentrum an den Rand. Historisch betrachtet ist das Aufgeben von Kirchen kein Phänomen der letzten Jahrzehnte. Zu einem historischen Schub kam es nach Reformation und Dreißigjährigem Krieg. Im Fokus standen vor allem Klosteranlagen, die im Zuge der Säkularisierung aufgehoben wurden. Die Nachnutzungen waren ausgesprochen unterschiedlich wie pragmatisch. Aus Klosterbauten wurden Lehr- und Bibliotheksräume für Universitäten, aber auch Landwirtschaftsbetriebe oder Steinbrüche für den lokalen Baubedarf.

Kirche in Pankow
Wegzug, verfallende Kirchen und die Umgehungsstraße als letzte Infrastruktur
Kirche Thondorf
Der Kichturm überstand im Gegensatz zum Kirchenschiff unversehrt die Zeiten
Kirchenruine Pobles
Die Kirchenruine St. Gangolf stand 2012 noch halbverfallen im Wildwuchs
Leeres Kirchenschiff
Das Kirchenschiff stammt von 1865, der Dachstuhl fehlt seit 1994
Kirche als Baustelle
Wenige Jahre später wurde das Ruinenareal wirklich zur Baustelle

Typische Entwicklungswege

Die Geschichte der Kirche in Pobles bei Lützen kann für viele mitteldeutsche Kirchenbauten als typisch gelten. In Kurzform: Die Ursprünge der Kirche reichten bis ins zwölfte oder fünfzehnte Jahrhundert zurück, der Dreißigjährige Krieg brachte mit der Verwüstung ganzer Landstreiche den Leerstand. Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte der Wiederaufbau von Kirche oder Kirchenschiff. Die Jahre der DDR stehen für verordneten Bedeutungsverlust und die Gefährdung durch Bauschäden. Nach der Wende entdeckte man Kirchen oder ihre Ruinen neu. Die heutigen oder künftigen Nutzungen reichen von Turnhalle bis Kunstgalerie.

Gesicherte Kirche Pobles
Die gesicherte Kirchruine Pobles soll zum Kunstraum Kaisersaschern werden
Dorfkirche Röcken
Weitgehend im Zustand aus dem 12. Jahrhundert erhalten ist die Kirche in Röcken
Chor Klosterkirche
Die Klosterkirche Oybin war bereits Sehnsuchtsort romantischer Maler
Turm Sixti-Kirche
Als Wasserturm gelangte die Ruine St. Sixti in Merseburg auf die Denkmalsliste
Kirche in Wählitz
Nach einem Brand entstand die Erlebniskirche Wählitz als kultureller Ortsmittelpunkt

Mittelpunkt im Nichts

Eine verfallende Kirche kann ein ganzes Stadtviertel in Mitleidenschaft ziehen, so wie bereits ein einziger leerstehender Laden das Shoppingcenter ramponiert. In den verdichteten Stadtzentren (und ihren Grundstückspreisen) steht Städteplanern nur wenig Raum zur Verfügung, real wie im übertragenen Sinn. Ein gegensätzliches Dilemma zeigt sich auf dem Lande, heute besser bekannt als strukturschwache Region. Wozu ein (wieder) belebter Mittelpunkt, wenn es hier wie in den Nachbarorten weder Schulen, noch Läden oder gar Gaststätten gibt. Da helfen kurzfristig weder Busverbindungen noch Förderprogramme.

Rosettenfenster Kirche Wachau
Von der Kirche Wachau blieb nach einer Kette von Unglücksfällen nur eine imposante Ruine
Neogotisches Fenster
Der Neubau der Dorfkapelle ließ 1865 eine neogotische Kirche im Großformat entstehen
Chor Kirchenruine
Ein Pfarrer für den teuren Neubau war aus Kostengründen nicht mehr vorgesehen
Spruch Kirchenportal
Noch ein Zitat aus dem Lukas-Evangelium auf den Weg gegeben (Lk 11, 28)