INDUSTRIE 16 | 3:30 Min
Der 800-Seelen-Ort Spergau rückte als Lagerstätte von Kaolin in den Fokus wirtschaftlicher Interessen. Das Ende der DDR und der internationale Markt hängten den mitteldeutschen Produktionsstandort rasch ab. Seit drei Jahrzehnten bestimmen Wildwuchs und Ruinen das Bild.
Ende des 19. Jahrhunderts rückte die begehrte weiße Tonerde in den Fokus wirtschaftlicher Interessen. Auch in der preußischen Provinz Sachsen gab es erkundete Lagerstätten. Die Qualität des Rohstoffs und die Menge der Vorkommen am Standort Spergau erlaubten die Nutzung für die Papier- und Porzellanfabrikation. Auch das Umfeld stimmte: Seit 1846 führte eine Eisenbahnlinie über Spergauer Flur.
So ging im Jahr 1883 eine Dampf-Porzellanerde-Schlämmerei in Betrieb. Das nassmechanische Verfahren wählte man, um Quarzsande abzutrennen, anschließend erfolgten Eindickung und Trocknung. Mit der Trocknung in Öfen und elektrochemischen Osmose-Verfahren ließ sich die Produktion des Kaolins später noch einmal effizienter machen.
Industriestandort wächst
Mit dem massiven Aufschwung der Petrochemie im Mitteldeutschen Chemiedreieck wurde Spergau zu einer bescheidenen Enklave am großen Buna-Werk in Leuna. Derweil lief die Produktion der weißen Erde auf dem vergleichsweise schmalen Areal zwischen der Hallenser und der Leipziger Bahnlinie auch unter Umfirmierungen weiter. Im Jahr 1937 ging die Kaolin- und Sandwerke AG in der Erbslöh & Co. KG der Geisenheimer Kaolinwerke auf. Mit dem Kapitel Erbslöh begann für Spergau der Status als Zweigniederlassung.
Investitionen und Weltmarkt
Mit dem Jahr 1949 stand durch die Verstaatlichung eine andere Umstrukturierung an. Nur orientierte man sich am anhaltischen Stammsitz in Salzmünde, mit dem Ende der Ländergliederung in der DDR zum Bezirk Halle gehörend. Im Zuge der Kombinatsbildung wuchs auch der VEB Kaolin- und Tonwerke Salzmünde. Im Werk Spergau arbeiteten mehr als 500 Beschäftigte. Was sich hier von anderen Entwicklungen der DDR-Wirtschaft unterschied, waren umfangreiche Investitionen in Maschinen und Anlagen gegen Ende der 1970er Jahre. Mit diesen Investitionen versprach man sich eine bessere Stellung am Weltmarkt.
Genützt hat es Standort und Beschäftigten langfristig nicht. Die rasche Währungsunion würgte auch die Kaolinproduktion in Spergau regelrecht ab. Im Treuhandchaos gingen im September 1992 fünf Betriebsstätten an einen Baustoffhersteller aus Baden-Württemberg. Zusammen mit den Bergbau-Rechten an elf weiteren Orten ließ das den – pro forma – größten privaten Bergbaubetrieb Sachsen-Anhalts entstehen. Doch zahlenmäßige Größe ist auch im Zeitalter der Globalisierung immer relativ und keine sichere Option für den künftigen Bestand.
Es geht nur noch bergab
Die Zeit danach liest sich heute als Weiterbetrieb auf Verschleiß, gepaart mit unternehmerischem Desinteresse. Entlastend muss festgestellt werden, dass mit den 1990er Jahren eine Globalisierungswelle anlief, die erfolgreiche wie erfolglose Akteure neu bestimmte. Am Ergebnis änderte das nichts, in Spergau passierte nicht mehr viel. Anfang der 1990er Jahre endete der Kaolinstandort Spergau, den Rest bestimmte die übliche Warteschleife aus Stillstand und Verfall. Ein Großbrand im September 2023 zerstörte Teile der leerstehenden alten Produktionsstätte.