INDUSTRIE 19 | 3:55 Min
Mitten durch die Saalestadt ziehen sich Bahnanlagen als breiter Gürtel von Süd nach Nord. Den Inselstatus des Ausbesserungswerkes unterstrich auch die ständig geschlossene Schranke am Kanenaer Weg. Mit der Jahrtausendwende entstand dort großflächig Ödland.
Am 6. Mai 2017 um die Mittagsstunde ertönte am Halleschen Hauptbahnhof ein Warnsignal, wenig später fiel der 85 Meter hohe Schornstein auf dem Gelände des alten Reichsbahn-Ausbesserungswerkes. Wenige Wochen später schloss sich der Abriss des markanten Reiterstellwerkes Hp 5 im südlichen Vorfeld des Hauptbahnhofs an. Beide Ereignisse stehen für den radikalen Umbau der Infrastruktur am Eisenbahnknoten Halle, die in ihrer alten Form keinen Platz in der aktuellen Zeit mehr hat.
Beeindruckende Dimensionen - kaum Informationen
Das Gelände des ehemaligen Reichsbahn-Ausbesserungswerkes gehört zu den größten leerstehenden Industriegeländen der Saalestadt. Mit seiner Gesamtfläche von gut 30.000 m² und den noch bestehenden Gebäuden ist es ein Lost Place der Superlative. Doch ungeachtet der Größe der Gesamtanlage, der langen Geschichte und diverser Alleinstellungsmerkmale sind über die Betriebsstätte selbst in der Internet-Ära nur sehr wenige Fakten zu seiner Geschichte bekannt geworden.
Arbeitsalltag und Sonderarbeiten
Erbaut wurde das Ausbesserungswerk von der damaligen Königlich-Preußischen Staatseisenbahn um das Jahr 1910. 2017 waren noch zehn unteschiedlich große Hallen sowie zahlreiche Nebengebäude auf dem weitläufigen Gelände vorhanden. Das Reichsbahn-Ausbesserungswerk Halle firmierte zu DDR-Zeiten als Raw 'Ernst Thälmann' Halle
, hatte gut 2.000 Beschäftigte und war eines der ein Dutzend Ausbesserungswerke, das für die Instandsetzung von Lokomotiven sorgte. Im Mittelpunkt der Arbeitsaufgaben stand in Halle die Aufarbeitung und Reparatur von Rangierloks und Leichttriebwagen. Manche der im Raw Halle ausgeführten Sonderarbeiten sind jedoch bekannter geworden. Neben dem Aussichtsturm im Leipziger Rosental gehört dazu auch die Endmontage der Saxonia
, einem Nachbau der ersten in Deutschland gebauten Dampflokomotive zum Eisenbahnjubiläum im Jahre 1989.
Zum 30.06.1996 wurde das Raw Halle offiziell geschlossen. Im gerade neu entstehenden Eisenbahnknoten Halle wie in der Struktur der Deutschen Bahn ist kein Platz mehr für einen solchen Reparaturbetrieb vorgesehen. Auch auf städtischer Seite wartet das weitläufige Gelände zwischen der Stadtmitte und dem östlichen Stadtteil Freiimfelde noch auf Integration in bestehende Konzepte und auf eine sinnvolle Nachnutzung. Ungeachtet einer Teilberäumung stehen die Anlagen seit mehr als zwanzig Jahren leer. Der bereits lang währende Dornröschenschlaf wird – bestenfalls – weiter anhalten.
Als letzte Brachfläche in dieser Größenordnung harrt das ehemalige Raw in Nachbarschaft zu Halles Innenstadt als Zeitinsel aus. Die verständlichen Begehrlichkeiten, das weitläufige Areal zu neuer Nutzung zu entwickeln, sind groß. Doch dem Bebauungsplan Nr. 216 - RAW-Areal
stehen von Altlasten bis Zahlungen die üblichen Schwierigkeiten im Weg. Die Fotos entstanden im März 2017.