URBANES 16 | 4:15 Min
Leipzig wäre gern eine Seestadt geworden, wie es ein Gedicht der Leipziger Mundart-Dichterin Lene Voigt auf den Punkt bringt. Doch aus einer gut frequentierten Kanal-Verbindung zu den Weltmeeren ist über Jahrzehnte und Jahrhunderte schlichtweg nichts geworden.
Im Mai 1938 starteten die Bauarbeiten für das Hafenbecken, nachdem bereits fünf Jahre zuvor der Kanalbau zur Saale angelaufen war. Als im Frühjahr 1943 mit der Verschärfung des Zweiten Weltkrieges das Bauprojekt eingestellt werden musste, verblieben drei Fragmente. Der Kanal bis hinter Günthersdorf, die Schleusentreppe in Wüsteneutzsch und der Lindenauer Hafen harrten seither in ihren Insellagen. Es war nicht das erste Kanalprojekt, das unvollendet blieb. Mit dem heutigen Karl-Heine-Kanal wuchs bereits ab 1856 ein Flussbauprojekt von der Weißen Elster aus westwärts.
Kanalbau bleibt im Ort
Doch westwärts bedeutete noch nicht die Anbindung an die Saale. Der Kanalbau diente vor allem zur Erschließung des Leipziger Westens und des Plagwitzer Industriereviers. Mit dem Aushub legte Heines Baugesellschaft Sumpfgebiete trocken, gewann Bauland in Plagwitz und transportierte auf dem Wasserweg Baumaterial zu Leipzigs Großbaustellen der Zeit. Der nüchtern kalkulierende Unternehmer Karl Heine wäre wohl nie auf die Idee gekommen, sich mit einem Kanal zur Saale in den Bankrott zu graben. In vier Jahrzehnten entstanden gerade einmal knapp dreieinhalb Kilometer Wasserstrecke im wachsenden Plagwitzer Industrierevier. Die Bauarbeiten endeten 1898 vor der Luisenbrücke an der Lützner Straße. Dort waren für die ausführende Westend-Baugesellschaft vor allem die Kiesschichten der Schönauer Flur von Interesse.
Südflügel des Mittellandkanals
Mitte der 1920er Jahre erfolgte ein weiterer Anlauf, um eine Verbindung von der schiffbaren Saale nach Leipzig zu schaffen. Im Juli 1933 liefen nach langem Hin und Her bei Burghausen groß angelegte Bauarbeiten an, um mit dem Saale-Leipzig-Kanal einen Südflügel des Mittellandkanals
herzustellen. Bald war es eine der größten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des Reichsarbeitsdienstes, doch der Kanalbau musste hinter kriegswichtigeren Projekten zurückgestellt werden. Nach Kriegsende rückte der Weiterbau hinter notwendigeren Projekten in weite Ferne, Teile der technischen Anlagen fanden bei anderen Wasserbauprojekten Verwendung.
Halbfertiges allerorten
Der Kanalbau blieb Fragment, der Hafen fiel zudem kleiner aus. Insgesamt waren zwei Umschlag-Hafenbecken und zwei Industriehafenbecken geplant. Umgesetzt wurde das Umschlagbecken I mit einer Länge von 1000 Metern, einer Breite von 70 Metern und einer Tiefe von ursprünglich 6 Metern. Westlich davon sollte das gleich große Umschlagbecken II entstehen. Vom angefangenen Bau des Hafenbeckens III für den geplanten Industriehafen weiter südlich zeugte lange Jahre noch eine halb verschüttete Straßenbrücke im Zuge der Lützner Straße. Davon unberührt waren die über die Jahrzehnte errichteten Speichergebäude auch ohne Wasseranbindung in Betrieb.
Doch vom Gesamtprojekt funktionierten manche Einzelteile. Der mittlere der alten Hafenspeicher, gut lesbar für die damalige Hafen-Lagerhaus-Gesellschaft HA-LA-GE
errichtet, diente als Getreidesilo, südlich davon liegen die noch heute genutzten Betriebsanlagen des Leipziger Kraftfuttermischwerkes. Im nördlichen Bereich des Hafens befand sich das Silo des ehemaligen VEB Hopfenverarbeitung, 1972 aus dem halbstaatlichen Betrieb M.R.A. Schneider hervorggegangen. Am 14. Mai 1964 zerstörte eine Staubexplosion Teile des Gebäudes, die daraufhin stillgelegt werden mussten. Ungeachtet der Beschädigungen steht der angeschlagene Speicher bis heute. Neben den Speichergebäuden war das Hafengelände traditioneller Standort von Baubetrieben. Daran erinnern noch heute das Mörtelwerk am Kanal und Reste der Kiesbahn. Während des Baues des angrenzenden Neubauviertels Grünau fertigte man auf dem Hafengelände auch Betonfertigteile.
Brachland wird plattgemacht
Die Handelsstadt Leipzig hatte einen unschiffbaren Hafen, der in nächster Nähe zum Landschaftsschutzgebiet Schönauer Lachen vor sich hin schlummerte. Mit der Leipziger Olympia-Bewerbung endete im Jahre 2002 der Dornröschenschlaf des Geländes – zumindest auf Planungsebene. Die ehrgeizigen Pläne sahen vor, auf dem Hafengelände das Olympische Dorf entstehen zu lassen. Das zentrumsnahe Grundstück mit möglicher Wasseranbindung blieb auch nach dem Platzen der Olympia-Blase von Interesse. Um die Ruhe des Brachlandes war es geschehen. Im Olympia-Jahr 2012 startete mit dem ersten Spatenstich der Bau des neuen Stadtquartiers im Leipziger Westen.
Bei der Wasseranbindung wandte sich das das Interesse in die geografisch entgegengesetzte Richtung zum ebenfalls halbfertigen Karl-Heine-Kanal. Mit der Beräumung des gut vier Hektar großen Hafenareals startete 2009 die Anbindung an das Leipziger Gewässernetz. Am 29. Januar 2015 erfolgte schließlich die Flutung des 665 Meter langen Abschnitts zwischen dem Karl-Heine-Kanal und dem Hafenbecken. Mit der Anbindung an die Weiße Elster endete nach sieben Jahrzehnten die Insellage des Lindenauer Hafens. Der avisierte zweite Durchstich über die verbleibenden 75 Meter zum Elster-Saale-Kanal sollte laut einem Stadtratsbeschluss ab dem Jahr 2018 in Angriff genommen werden. Doch auch hier dürfte mit den Jahrzehnten einige Zeit durchs Land gehen.