WEGE & PFADE 20 | 5:45 Min
Im März 2021 verbuchte der Thüringer Eisenbahnverein einen Neuzugang. Das rostige Etwas war die einstige Neubaulok 211 028, die vier Jahrzehnte bei der Reichsbahn und wechselnden Betreiberfirmen in Diensten stand. Sie verkörpert bewegte Jahrzehnte Technikgeschichte.
Gebaut wird sie im Juli 1963 als E11 028 mit der Fabriknummer 9939 im LEW Hennigsdorf. Erst zwei Jahre zuvor gingen die beiden Baumuster in Betrieb. Ihre Bezeichnung E11 orientiert sich noch an einer deutschen Wiedervereinigung. Die Bundesbahn hatte kurz zuvor ihre Baureihe E10 neu beschafft. Das Baulos des Jahres 1963 umfasst bereits die Loks E11 021 bis E11 042. Von Juli bis Oktober werden sie in den Bahnbetriebswerken Leipzig West, Halle P und Bitterfeld in Dienst gestellt. Bei ihnen fehlt schon die Frontschürze, sie kommen mit neuen Nummernschildern, die vom breiten alten Reichsbahn-Schema abweichen. Zwei Sicken im Rahmen und die vier seitlichen Doppellüftungsgitter werden sie später von ihren Schwestern unterscheiden.
Der Start der Großdiesellok V180 verläuft hingegen schleppend. Erst Anfang 1963, fast vier Jahre nach Präsentation des Baumusters, erfolgt die Abnahme der ersten Serienlok V180 005 beim LKM Babelsberg. Bis Jahresende gehen noch dreizehn Maschinen in Dienst. Mit dem Jahr 1963 endet vorerst die Beschaffung der E11, der Vorrang wird statt dessen der fast baugleichen Schwester-Baureihe E42 gegeben. Mit einer kürzeren Getriebeübersetzung ist sie zwar langsamer, wird mit ihrer stärkeren Anfahrzugkraft aber die Universal-E-Lok der Reichsbahn werden.
Großes Schrittmaß zu Beginn
Das Einsatzgebiet von E11 028 ist 1963 noch recht überschaubar, zum Jahresende wird es gerade einmal 440 Streckenkilometer umfassen. Es sind die wiederelektrifizierten Abschnitte zwischen Magdeburg, Dessau, Halle, Weißenfels, Leipzig und Reichenbach. Alle Anlagen und Einrichtungen sowie der gesamte elektrische Fuhrpark gelangten 1946 als Reparationsleistung in die Sowjetunion. Sie werden ab 1952 im Schrottzustand teuer zurückgehandelt, die Wiederaufnahme des elektrischen Betriebes erfolgt Stück für Stück ab 1955. Bis Ende 1961 zieht sich die Inbetriebnahme der ramponierten Altbau-E-Loks hin.
Anspruchsvolle Ziele waren gesteckt, doch im Alltag hat man noch mit elementaren Problemen zu kämpfen. Die Beseitigung grundlegender Kriegs- und Reparationsschäden nimmt zahlreiche Ressourcen in Anspruch und holt manche Wunschvorstellungen in die Realität zurück. Im Jahr 1965 werden bei der Deutschen Reichsbahn der DDR gerade einmal acht Prozent aller Züge mit E-Loks, drei Prozent mit Dieselloks gefahren. Die Neubau-E-Loks erweisen sich schnell als Quantensprung und bewähren sich auch im rauhen Bahn-Alltag.
Schrittweise geht es ambitioniert voran: Zum Sommerfahrplan 1970 erfolgt die Eröffnung des elektrifizierten Streckenabschnitts Wurzen - Riesa. Er markiert den Lückenschluss im sogenannten Sächsischen Dreieck, das die Industriezentren Leipzig, Zwickau, Karl-Marx-Stadt und Dresden verbindet. Die Elektrifizierung erreicht damit die 1.000-Kilometer-Marke. Einen der Sonderzüge zur Eröffnung bespannt E11 028. An das Ereignis erinnert später eine Bronzeplakette an der Lok. Ab Juni 1970 ist sie dann mit ihrer neuen Computer-Nummer 211 028-6 unterwegs.
Die Eröffnung des Sachsendreiecks bildet einen vorläufigen Endpunkt für Elekroloks. Bereits seit 1966 liegt die neue Priorität bei der Traktionsumstellung auf Dieselloks, geliefert entsprechend der RGW-Nomenklatura aus der Sowjetunion. Elektrifizierungen beschränken sich auf wenige Ergänzungen im Netz. Ab 1974 kommen noch drei kleine Lieferserien der 211, nach 95 Maschinen ist im Dezember 1976 Schluss. Einen Monat vorher war mit 242 292 auch der Bau der Schwester-Baureihe beendet. Doch auch hier bahnt sich eine Wende an: Es wird einen Richtungswechsel zur elektrischen Zugförderung geben. Nach drei Jahren Baumustererprobung beginnt 1977 die Serienfertigung der schweren sechsachsigen E-Lok-Reihe 250. Mit ihr wird technisch ein neues Kapitel aufgeschlagen, 1982 noch einmal durch die universelle Baureihe 243 getoppt. Getrieben wird der geänderte Kurs durch die 1979/80 über die DDR hereinbrechende Ölkrise. Die Streckenelektrifizierung der Hauptstrecken ist Beschluss des X. Parteitages der SED und zentrales Jugendobjekt.
Erfolgreich durchgehalten
Mit dem Ende der DDR sind gut 3.700 Kilometer Bahnstrecke elektrifiziert, rund 27 Prozent des Gesamtnetzes. 1.200 E-Loks stehen im Einsatz und erbringen rund die Hälfte aller Leistungen im Zugdienst. Die Baureihe 211 gehört mit 69 Maschinen im Unterhaltungsbestand noch dazu. Doch aus dem Schnellzugdienst sind sie durch die neuen Baureihen 250 und 243 rasch verdrängt worden, ihr Stern sinkt. Nach Umbauten ab Mitte der 1980er Jahre laufen 23 Exemplare von ihnen als 242 vor Güterzügen. Aber 211 028 ist noch im Einsatz - und immer noch in ihrem ersten Heimat-Bw Leipzig Hbf West. Ab 1992 wird sie dort als 109 028 geführt, doch zwei Jahre später ist Schluss. Am 12.09.1994 kommt sie in den Schadpark und wird drei Monate später als 109 028 im nunmehrigen Betriebshof Leipzig Hbf West ausgemustert.
Doch mit der Ausmusterung ist noch nicht Schluss: Zunächst schafft es 211 028 zur privaten Museumslok. Der Status als E11 028 im grün-roten Lok der Auslieferung ist aber nach drei Jahren vorbei. Die folgenden zwölf Jahre wird die Lok noch bei wechselnden Eigentümern im Einsatz stehen. Übernahmen, Umfirmierungen und wechselnde Standorte sorgen für Unübersichtlichkeit. Aber 109 028 ist im Einsatz. Ihre letzte Hauptuntersuchung erhält sie im Juni 2004 in Neustrelitz, bis zum Fristablauf ist sie bei der Eisenbahngesellschaft Potsdam im Einsatz. Acht Jahre später droht dann wirklich das Ende. Im Unkraut der Wittenberger Abstellgleise scheint sich nach 2012 das endgültige Aus abzuzeichen. Doch auch diesmal sollte es noch einmal anders kommen. Im März 2021 gelangt die Lok als Leihgabe ins Eisenbahnmuseum nach Thüringen.