Elbbrücke Dömitz als Symbol und Ruine


Ein innerdeutscher Lost Place

  WEGE & PFADE   17 | 5:05 Min

Was verbindet das mecklenburgische Dömitz mit Otto von Guericke und Carl Maria von Weber? Beide passierten die Zollstadt an der Elbe posthum auf der Überführung in die Heimat. Dömitz bewahrt noch weitere interessante Bezüge zu Brüchen im Zeitgeschehen.

Blick über Brückenruine
Nach Kriegsende verblieb ein beachtlicher Brückentorso an der getrennten Bahnverbindung
Brücke über die Elbaue
Mit einst 986 Metern Länge gehörte die Brücke zu den längsten Strombrücken Deutschlands
Nieten am Träger
Zur Zeit ihrer Enstehung war die Konstruktion der stählernen Brückenträger revolutionär

Die Bahnstrecke von Wittenberge über Dömitz nach Buchholz südlich von Hamburg galt den Planern als strategisch wichtige Verbindung. Entsprechend aufwändig gestalteten sich Vorbereitung und Bau. Markantestes Bauwerk der Strecke war die Elbbrücke in Dömitz. Wichtige Auflagen für ihren Bau kamen vom Militär: Die Elbbrücke bei Dömitz darf höchstens 2000 Schritt von der Zitadelle zu Dömitz entfernt sein und muß eine Drehbrücke, ähnlich wie bei der Brücke zu Hämerten enthalten. Außerdem sind zwei Strompfeiler mit Demolierungsminen zu versehen und die beiderseitigen Zugänge der Brücke durch tambourartige Abschlüsse mit Wachtblockhäusern zu sichern.

Blick durch Schießscharte
Von der strategischen Bedeutung der Brücke zeugen die Schießscharten im Wachtblockhaus
Träger von oben
Aus dieser Perspektive zeigt sich die filigrane Konstruktion der Schwedler-Träger

Die Brücke in Dömitz stellte man 1873 fertig, die Eröffnung der Gesamtstrecke Wittenberge - Buchholz folgte ein Jahr später. Doch bereits da war einiges nicht mehr stimmig. Von dieser südlichen Parallelstrecke zur Hauptbahn Berlin - Hamburg hatten sich die Planer zuviel versprochen. Geplant und trassiert war sie zweigleisig, ging aber nur eingleisig in Betrieb. Das verlegte zweite Gleis auf der Dömitzer Brücke demontierte man schließlich 1886 und verlegte das verbleibende in Brückenmitte. Für die von der Bevölkerung geforderte Errichtung einer separaten Fahrbahn für Fuhrwerke fehlten jedoch Geld und Interesse. Eine Dömitzer Straßenbrücke über die Elbe wurde erst im Jahr 1936 freigegeben.

Schild an Träger
Ein unscheinbares Schild informiert über technische Details des Bauwerkes

Die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges sollten den Status der Dömitzer Eisenbahnbrücke für Jahrzehnte festschreiben. Am 20. April 1945 bombardierten amerikanische Flieger das Bauwerk, um einen kontrollierten Rückzug von Einheiten der deutschen Wehrmacht zu verhindern. Der drehbare Brückenteil über der Elbe wurde dabei komplett zerstört. Einen großen Anteil an der verheerenden Wirkung des Luftangriffs dürften auch die zuvor durch die Wehrmacht angebrachten Sprengladungen gehabt haben.

Gekappte Verbindungen

Auf der westlichen Seite verblieb ein Restbetrieb zwischen Lüneburg und Dannenberg, ab dort nutzte man das Gleis zur Brücke zum Sammeln von Schadwagen. Die Deutsche Bundesbahn ließ 1978 die Strompfeiler und die drei verbliebenen Stromüberbauten entfernen. Auch auf der anderen Flussseite fanden Sicherungsarbeiten statt: Die Reste der Drehbrücke, die östlichen vier Flutöffnungen sowie der östliche Brückenkopf wurden im Jahr 1987 im Zuge von Grenzsicherungsmaßnahmen entfernt. Auf DDR-Seite war trotz Grenznähe mehr Betrieb auf der unterbrochenen Verbindung. Der Streckenast nach Ludwigslust sorgte dafür, dass Dömitz und das nahe Malliß als Industriestandorte angebunden blieben. Der Brückenrest verblieb als Symbol der deutschen Teilung im Niemandsland.

Brückenpfeiler Dömitz
Der verbliebene Rest der Brückenkonstruktion wurde als Ruine Symbol der deutschen Teilung
Zerstörte Telegrafenleitung
Die innerdeutsche Grenze sorgte 28 Jahre lang für gekappte Verbindungen

Die deutsche Teilung machte Dömitz zur Grenzstadt und brachte einen Umbruch der Verkehrsströme und der Infrastruktur. Sogenanntes Zonenrandgebiet auf der einen und Hochsicherheitsbereiche auf der anderen Seite bestimmten fortan die Situation. Mit den neu entstandenen Besatzungszonen endete auch eine Besonderheit der örtlichen Grenzziehung. Ursprünglich standen sowohl die komplette Brücke als auch das nahe Dorf Kaltenhof auf Mecklenburger Gebiet. Landes- und Staatsgrenze verliefen nun an der Elbe, wenngleich der genaue Grenzverlauf am Fluss noch Jahrzehnte für Unstimmigkeiten zwischen Ost und West sorgte. Für die Eisenbahnverbindung Wittenberge - Hamburg brachte die Nachkriegszeit das Ende. Die Strecke Dömitz - Wittenberge endete im Jahr 1947 als Reparationsleistung für die Sowjetunion.

Wachtblockhaus
Das sanierte Wachtblockhaus bietet heute den Zugang zu Brücke und Skywalk

Nach Grenzöffnung im Abseits

Der Wegfall der innerdeutschen Grenze sollte der lückenhaften Bahnverbindung zwischen Wittenberge und Buchholz keine neuen Aufgaben bringen. Vielmehr kam das flächendeckende Aus für die regionale Wirtschaft. So brach dann auch die Nachfrage im Güter- und Personenverkehr ein. Mit dem Ausbau der Bundesstraße 191 schuf man Tatsachen. Am 18. Dezember 1992 wurde die neue Straßenbrücke eingeweiht, auf den Tag genau 119 Jahre nach der Einweihung der alten Dömitzer Eisenbahnbrücke. An der Wiederaufnahme eines Bahnverkehrs in der dünn besiedelten Region bestand kein Interesse, einen Sinn zur Entlastung der Relation Berlin - Hamburg sah man nicht.

Straßenbrücke Dömitz
Die Straßenbrücke übergab man auf den Tag genau 119 Jahre nach der alten Brücke dem Verkehr
Bahnhofsgebäude Dömitz
Das imposante Empangsgebäude verblieb nach einem Brand im Jahre 2011 als hohler Zahn
Gleise im Wildwuchs
Im beräumten Gleisfeld kann man die Dimensionen des einstigen Kreuzungsbahnhofs erahnen
Kilometerstein in Dömitz
Der Kilometerstein verrät im Bahnhof Dömitz die Länge der abgebauten Eisenbahnanbindung

Der Bahnverkehr von Dömitz nach Ludwigslust war mit dem wirtschaftlichen Niedergang der Region weiter rückläufig. Am 27. Mai 2000 stellte die Deutsche Bahn den Reiseverkehr ein, die komplette Stilllegung folgte ein knappes Jahr später. Den Abbau führte eine Verwertungsfirma zwischen 2006 und 2007 aus. Im Gegensatz zur Elbbrücke und dem erfolgreich zum Hotel umfunktionierten Speichergebäude am Hafen blieb ein Happy End für die Dömitzer Bahnhofsanlage aus. Am 11. August 2011 zerstörte ein Feuer das Empfangsgebäude. Im Jahr 2022 endete ein langes Hin und Her, die Stadt erlangte die Aufhebung des Denkmalschutzes und die Abrissgenehmigung.

Schild am Bauzaun
Die Arbeiten zur grundhaften Sanierung der Brücke zogen sich über drei Jahre hin
Westlicher Brückenkopf
Bei der Sanierung verbaute man eigens gefertigte Ziegel aus dem brandenburgischen Glindow

Zukunft als Skywalk?

Losgelöst von allen Verbindungen verblieb die Eisenbahnbrücke als Fragment aus besseren wie schlechteren Zeiten. Am 10. April 2010 versteigerte die Deutsche Bahn die Brücke nebst 71.000 Quadratmetern Grundstück. Den Zuschlag erhielt bei 305.000 Euro der niederländische Großindustrielle Dr. Toni Bienemann aus Arnheim. Das Mindestgebot lag bei 19.800 Euro, gekostet hatte die Brücke einst 3,6 Millionen Reichsmark. Interessante Brücken-Bezüge gibt es mit dieser Verbindung nach Arnheim genug. Der Verkauf sicherte die weitere Erhaltung der Brücke. Sanierungsarbeiten am westlichen Brückenkopf konnten im Jahr 2018 abgeschlossen werden.

Weg auf Brücke
Der Skywalk bietet den Besuchern Aussichten von und auf der alten Eisenbahnbrücke

Ende August 2023 weihte man den Skywalk genannte Fußweg auf der Dömitzer Eisenbahnbrücke ein. Vorangegangen waren dreijährige Bauarbeiten für rund acht Millionen Euro. Ins Auge fällt dabei auf den ersten Blick nur das restaurierte Wachthaus am westlichen Brückenkopf. Über vier der Brückenbögen führt über 130 Meter der Weg. Vom Skywalk selbst ist von außen fast nichts zu sehen. Man möchte von einer gelungenen Sanierung sprechen, wenn da nicht weitere Ausbaupläne wären: Der Skywalk soll die gesamte Länge einschließlich des Brückenkopfes einnehmen. Als angedrohtes Leuchtturmprojekt mit dem unvermeidlichen Info-Zentrum für Besuchende bleibt die übliche Kaputtsanierung zu befürchten.

Sanierter Brückenpfeiler
Der erneuerte Brückenpfeiler zeigt das behutsame Vorgehen bei der Sanierung des Bauwerks