INDUSTRIE 12 | 2:30 Min
Die berühmte Geschichte vom Turmbau zu Babel scheint noch einmal anzuklingen. Die gigantische Baustelle aus dem alttestamentarischen ersten Buch Mose ist aber in die deutsche Gegenwart der Jahrtausendwende versetzt. Das Scheitern des Projekts ist durchaus ähnlich.
Der dritte Kernkraftwerksbau der DDR sollte pragmatischerweise ein Projekt der Superlative werden. Im altmärkischen Flecken Arneburg begannen 1974 die Arbeiten zum Bau eines Kernkraftwerkes mit viermal 1.000 Megawatt Leistung. Bis zu 9.500 Menschen arbeiteten auf und an der Großbaustelle. Bis zum Jahr 1980 sollte das größte Kernkraftwerk Deutschlands errichtet sein. Doch im Lauf der Zeiten mussten die Planungen durch politische Zwänge und technische Probleme immer wieder geändert werden. So zogen sich allein die atomrechtlichen Genehmigungen bis Ende 1979 hin. Zur eigentlichen Großbaustelle kamen weitere hinzu: In den umliegenden Gemeinden entstanden 14.000 Wohnungen, ein neues Krankenhaus, Schulen und Freizeitanlagen. Hinzu kam noch der Aus- und Neubau von Straßen und Bahnstrecken.
Erster fertiggestellter Bau vor Ort war 1975 das Sozialgebäude I. Die Arbeiten an den ersten beiden Kraftwerksblöcken begannen 1982. Auch hier sorgten technische Anpassungen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Störfälle in den Kernkraftwerken Harrisburg und Tschernobyl, für ständige Verzögerungen. Schließlich sollte laut Ministerratsbeschluss der erste Block des KKW Stendal im Herbst 1991 ans Netz gehen. Die politische Wende kam dazwischen, das Mega-Projekt endete per Baustopp am 1. März 1990. Die 450 ha große Baustelle wurde mit Teilabrissen, Abrissen und Umstrukturierungen zum heutigen Gewerbegebiet zusammengeschrumpft. Geblieben ist eine weitläufige Geisterstadt, in der es nicht einmal spukt.
Das unvollendete Stendaler Kernkraftwerk hatte mit dem KKW Nord einen fertiggestellten Vorgängerbau. Nach sieben Jahren Bauzeit ging 1974 in Lubmin bei Greifswald der erste Block in Betrieb, drei weitere folgten bis 1979. Ihr Betrieb deckte gut 10 Prozent des Energiebedarfs des Landes. Die Erweiterung um weitere vier Blöcke geriet dann in die Wirren der politischen Wende. Angesichts notwendiger Instandsetzungen, Anpassungsarbeiten und Genehmigungsverfahren entschied man sich für die Stillegung. Der Störfall DDR blieb vom Markt der deutschen Kernenergie fern und der politischen Großwetterlage des linksgrünen Atomkraft - nein danke!
war Genüge geleistet.
Am Ende des Kapitels der Kernenergie in der DDR stehen zwei aufgelassene Großprojekte. Deren Rückbau genannter Abriss dürfte ihrem Bau in Aufwand und Dauer kaum nachstehen. Zwei Minderheiten werden aber befriedigt sein: Die laute Minderheit der zufriedengestellten grünen Ideologen und die unauffällige derjenigen, die im Hintergrund die Rechnungen legen. Man sollte sich bei solchen Kehrtwendungen aber nicht der Illusion hingeben, aller Ausstieg ende als Nullsummenspiel.